Presse/Medien

SVZ Hagenower Kreisblatt

Wo der Horizont fast grenzenlos ist

Kio Kiaulén fröhnt in Bobzin einem ungewöhnlichem Hobby - dem Tragschrauberfliegen


Aus dem Hagenower Kreisblatt
Die zufällige Teilnahme einer unserer Flieger an der Jagd auf zwei ausgebüxte Rinder bewog den Reporter des Hagenower Kreisblatts im Juli '99 zu folgendem Vereinsportrait. Eine bessere Presse und einen sachlicheren Artikel kann man sich als Flieger in Deutschland kaum wünschen.

(P.S. Die versteckten Rinder, die sich in einem Rapsfeld niedergelegt hatten, wurden nach Abzug der Feuerwehr und des Reporters auf einer letzten Platzrunde des Fliegers doch noch entdeckt und konnten eingefangen werden).







Bobzin • Früher starteten Agrarflugzeuge der Interflug vom Flugplatz zwischen Bobzin und Scharbow. Heute sind es Ultraleichtflugzeuge des Vereins "Air Holiday", die von dort aus Richtung Ostsee oder Elbe fliegen.

Wulf Kwasny hat sich einen alten Traum erfüllt. Für Reinhard Wasmund gibt es nichts Schöneres, als losgelöst vom Erdboden die Freiheit zu genießen. Und Bernd Dietrich läßt seine Alltagssorgen unten, fühlt sich frei von allen irdischen Problemen. Die drei sind Flieger, genauer Ultraleichtflugzeug-Flieger. Gemeinsam mit sieben anderen Hobby-Piloten starten und landen sie ihre super- leichten Maschinen auf dem kleinen Flugplatz an der A 24, zwischen Scharbow und Bobzin.

Vor zehn Jahren beschloß eine Gruppe von Fliegern, die ihre Maschinen auf dem Flugplatz Hartenholm bei Hamburg stehen hatten, sich einen preisgünstigeren Platz zu suchen. Den fanden sie in Hagenow auf dem Gelände hinter dem ehemaligen Kabel- trommelwerk an der Steegener Chaussee. Sie gründeten den Verein "Air Holiday", flogen, was Tragflächen und Propeller hergaben. 1996 dann wurde das Industriegebiet erweitert, sie mußten sich einen neuen Flugplatz suchen.

In der Nähe von Bobzin wurden sie fündig. Hier liegt eine alte Interflug-Landebahn, von der früher Agrarflugzeuge, die Kunstdünger sprühten, aufstiegen. In Gemeinschaftsarbeit und mit Hilfe einer Baufirma errichteten die Air-Holiday-Mitglieder eine 15 x 30 Meter große Stahlblechhalle für ihre Maschinen. Fertig war der neue Flugplatz.

Nach Mecklenburg gegangen zu sein, bereuen die Flieger überhaupt nicht. "Die Landschaft ist wunderschön", findet Wulf Kwasny. "Wir fliegen am liebsten zur Elbe und an die Ostsee. Weiter nach Osten gibt es noch andere Flugplätze, wo wir sehr herzlich willkommen geheißen wurden."

Die Mehrheit der mittlerweile zehn Piloten kommt aus Hamburg und Umgebung. Drei der Flieger sind aus Mecklenburg, und zwar aus Hagenow, Schwerin und Zarrentin. Ein Zeitvertreib für Privilegierte ist Ultraleichtfliegen übrigens nicht. Bernd Dietrich: "Viele Leute glauben, die Mitglieder von Air Holiday seien vor allem Zahnärzte und Rechtsanwälte. Das stimmt nicht. Wir verfügen alle nur über durchschnittliche Einkommen. Ich selber bin Speditionsangestellter, ein Vereinskamerad ist gelernter Maurer, ein anderer Maschinenbauer. Man kann sich eine gebrauchte Maschine schon für ein paar tausend Mark kaufen. Viele basteln sich ihre Flugzeuge auch selbst zusammen."

450 Kilo darf ein Flugzeug höchstens wiegen, einschließlich des Piloten und eines Passagiers. Mehr als zwei Personen dürfen grundsätzlich nicht mitfliegen. Die maximal erlaubte Flughöhe beträgt 1500 Meter, normalerweise lassen die Piloten ihre Maschinen jedoch nicht höher als 600 Meter steigen. Je nach Typ erreichen die Flieger eine Geschwindigkeit von 70 bis 200 km/h. Für den Notfall verfügt jedes Flugzeug über einen Fallschirm. Löst der Pilot ihn aus, schwebt seine Maschine an dem 90 qm großen Schirm zur Erde.

Eine Umweltgefährdung sehen die Mitglieder von Air Holiday in der Ultraleichtfliegerei nicht. Jörg Baudisch, der Hagenower Flieger: "Andere haben ein Auto, das viel verbraucht oder einen Zweitwagen". "Flugplätze sind oft Refugien für seltene Tiere", ergänzt Bernd Dietrich. "Um unseren alten Platz herum haben sich im Herbst die Störche vor ihrem Abflug nach Afrika versammelt. Und ganz in der Nähe unser jetzigen Landebahn lebt ein Schwanenpaar. Das beweist, daß unsere Maschinen kaum Lärm erzeugen. Bevor wir die Genehmigung erhielten, hier zu starten, mußten wir ein Lärmschutzgutachten beibringen. Das wurde ohne Einschränkungen angenommen."

Wer sich für die Ultraleichtfliegerei interessiert, den nehmen die Air-Holiday-Mitglieder für einen Unkostenbeitrag gerne mit auf einen Probeflug. Der beste Termin dafür ist das Wochenende. Bei gutem Wetter kann man fast sicher sein, einige der Piloten auf ihrem Flugplatz anzutreffen.

von Hauke Rudolph

SVZ Schweriner Volkszeitung 05. August 2011

"Mein Logenplatz am Himmel"

Ein letzter Blick ins Internet, und für Bernd Dietrich steht fest: Heute macht er früher Feierabend. Es wird der vorerst letzte schöne Sommerabend werden. Die Regenfront liegt noch weit genug entfernt. Der Wind bläst aus Südost. Das Thermometer zeigt 26 Grad.

Dietrich greift sich das Logbuch, die Fliegerkarten, das GPS-Gerät und den Benzinkanister. Noch knapp eine Stunde Autofahrt, dann biegt er auf die Wiese hinter Bobzin und schiebt die schweren Türen des Hangars auf. "Eigentlich sind wir nur an schönen Wochenenden hier", erzählt er. "Aber bei dem saumäßigen Sommer und den Wettervorhersagen muss man Tage wie diesen einfach nutzen." Er stemmt sich gegen sein kleines weißes Ultraleichtflugzeug und rollt es durch das halbrunde Tor. Gleich wird er abheben. Gegen den Wind. "Er steht auf der Bahn", sagt Dietrich. "Das ist perfekt für den Start."

Bernd Dietrich gehört zu den zwanzig Mitgliedern des Hamburger Vereins "Air Holiday". Die Mehrheit kommt aus Hamburg, aber auch ein Hagenower und ein Schweriner Hobbyflieger sind dabei. Seit Mitte der Neunziger Jahre starten und landen sie mit ihren Ultraleichtflugzeugen auf einer ehemaligen Agrarbahn neben der A 24 zwischen Bobzin und Scharbow. "Wir sind keine abgehobenen Privilegierten", will Bernd Dietrich gleich klarstellen. "Alle Mitglieder machen das aus purem Spaß und Genuss. Viele denken, hier fliegen Manager, Zahnärzte und Rechtsanwälte. Das stimmt nicht." Er selbst arbeitet im Lager einer Spedition. "Meine erste gebrauchte Maschine habe ich für ein paar tausend Mark gekauft und sie dann den ganzen Winter über aus- und umgebaut. Viele basteln sich ihre Flugzeuge aber auch komplett allein zusammen."

Nicht mehr als 450 Kilogramm darf ein Ultraleichtflugzeug beim Abflug wiegen. Um die Sicherheit macht sich der 58-Jährige keine Sorgen. "Ultraleichtflugzeuge müssen jährlich zum TÜV. Außerdem ist jedes Flugzeug vorschriftsmäßig mit einem Fallschirm ausgerüstet." Der steckt nicht im Sack auf dem Rücken des Piloten, sondern in einer Box am Flugzeug. "Im Notfall ziehe ich einen Hebel, der über einen Schlagbolzen eine Rakete zündet, die den Fallschirm herauskatapultiert. Dann hängt nicht der Pilot, sondern das ganze Flugzeug am Schirm." Dass Notfallsystem sei so gut ausgefeilt, dass ein Absturz meistens nicht auf die Technik, sondern auf einen Pilotenfehler zurückzuführen sei. Trotzdem, der Kick bleibt. Gerade beim Start kribbelt es auch nach mehr als 1000 Starts bei Bernd Dietrich im Bauch. Erst, wenn er die Reisehöhe von 600 Metern erreicht hat, fängt er an sich zu entspannen. "Für das Gefühl, dort oben mutterseelenallein auf die Welt zu schauen, nimmt man dieses Kribbeln gern in Kauf."

Wegen des Wetters ist der Hamburger in diesem Sommer kaum geflogen. Laut Logbuch war er Anfang Juli das letzte Mal in der Luft. "Zeit also wieder abzuheben." Fliegen sei für ihn "Genuss pur". "Wenn ich vom Boden hebe, lasse ich den Alltag mit allen Problemen zurück. Dann habe ich einen Logenplatz am Himmel."

Das Revier im Umkreis sei einzigartig. Schweriner Schloss, Ostseeküste, Wismar oder der Schaalsee. "Einmal haben wir es mit vollem Tank sogar bis zur Hansesail nach Rostock geschafft", erzählt er.

Die Bobziner fühlen sich vom Flugplatz wenig gestört. "Einige sagen, der Lärm von der Autobahn sei viel stärker." Weil die Startbahn einen Landwirtschaftsweg kreuzt, wird bei Landungen und Starts eine fest installierte Ampel auf Rot geschaltet. Der Verein setzt auf gute Nachbarschaft. Mit ein bisschen Glück können die Bobziner sogar gratis mit einem Piloten mitfliegen. Auf Dorffesten verlost der Verein bei Tombolas kostenlose Rundflüge.

von Katharina Hennes